Die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise scheint erfolgreich im Sinne herrschender Kräfte bearbeitet zu werden, auch wenn es in einigen Ländern immer wieder zu heftigen Krisen kommt – bzw. gerade dadurch – und sich derzeit in Europa ein Muster der Austeritätspolitik durchsetzt. Soziale Bewegungen und andere emanzipatorische Kräfte drohen in dieser Konstellation durch die Tatsache geschwächt zu werden, dass sie zwar die Delegitimierung des neoliberalen Gesellschaftsumbaus erfolgreich vorantreiben, kaum aber zur Entwicklung grundlegender Alternativen beitragen können. So zumindest sieht es – im Unterschied zu Nordafrika oder Lateinamerika – in den Ländern des globalen Nordens aus.
Angesichts der Ernüchterung stellt sich die Frage, ob und inwiefern es zu strategischen Neuorientierungen kommt. Zum einen können verstärkte Bemühungen beobachtet werden, breite Bündnisse (etwa zwischen Gewerkschaften und Umweltbewegung), linke Cross-over-Prozesse und andere Organisierungen voranzutreiben. Zum anderen scheint neben dem „Druck auf die Politik“ – oder gar zunehmend als Alternative dazu? -, der sich eben in den meisten Fällen als ineffektiv erweist, der Aufbau eigener Projekte an Bedeutung zu gewinnen. Beides findet in spezifischen Konfliktfeldern unterschiedlich statt, hat eigene Dynamiken. Bei den „eigenen“ Alternativen stellt sich dennoch die Frage gesellschaftlicher und staatlich-politischer Absicherung, nach Macht- und Kräfteverhältnissen, alltäglicher Reproduktion und Subjektivierungen. Wie gehen Initiativen und Projekte, die an radikalen emanzipatorischen Zielen festhalten wollen, mit den Widersprüchen zwischen (zumindest vordergründig) systemimmanenten, alltäglichen Aktivitäten zur Unterstützung der jeweiligen Klientel, Kommunikation mit staatlichen Instanzen usw. in den jeweiligen Feldern und dem Anspruch systemtransformierende Praxen zu entwickeln (oder so ähnlich) um? Welche konkreten Aktivitäten könn(t)en über den staatlich und ökonomische vorgegebenen Horizont auf eine umfassende Veränderung der Gesellschaft hinweisen?
Drittens wird in vielen Konflikten deutlich, dass sie entlang unterschiedlicher Strukturmuster (Klassen, Geschlechter, ethnisierten Mustern, international) ausgetragen werden. Wir fassen diese breiten Umorientierungen heuristisch mit dem Begriff der Transformation der Lebensweise. Mit dieser Ausgangsüberlegung wollen wir nicht unterschiedliche Ansatzpunkte auf eine gemeinsame Perspektive verpflichten, sondern der Mannigfaltigkeit von Kämpfen und Erfahrungen Raum geben. Es zeigt sich aber auch, dass die Entwicklung von Alternativen und Verbreiterung der politischen Handlungsspielräume die Frage nach der Überschreitung der genannten Strukturmuster aufwirft, um den Veränderungen der Gesellschaft, die in den Wissenschaften daher aus intersektionaler Perspektive diskutiert wird, adäquat Rechnung zu tragen.
Auf der Tagung haben wir allgemein und anhand exemplarischer Felder Erfahrungen und Strategien genauer diskutiert. Dies geschah in Plenardiskussionen und in Arbeitsgruppen. Da es sich um einen zwar wissenschaftlichen, aber nicht rein akademischen Austausch handeln sollte, waren sowohl im Vorbereitungsprozess als auch an der Tagung selbst AktivistInnen beteiligt.
Diskussion
Unter anderem haben wir entlang folgender Fragen diskutiert:
- Welches Wissen um dominante gesellschaftliche Entwicklungen sowie konkrete Probleme und Hindernisse gibt es (etwa institutioneller, subjektiver Art, in Bezug auf Strategieentwicklung oder in Bezug auf gesellschaftliche Machtverhältnisse) und wie wird mit ihnen konkret umgegangen?
- Was sind mittel- und langfristige Ziele gesellschaftlicher Transformation?
- Was sind die entsprechenden und vielfältigen Ansatzpunkte und Strategien (Widersprüche, alternative Wissensproduktion, Ermächtigung, Mobilisierung, Lobbying, Öffentlichkeit etc.), was muss dafür an Ängsten und Defiziten überschritten werden?
- Dabei interessierte die Frage, welche Rolle kritische Wissenschaft in den Auseinandersetzungen spielt und in wie ihre Konzepte in den konkreten Zusammenhängen diskutiert werden. Übergreifend interessierte, ob und wie zwischen den einzelnen Kämpfen Zusammenhänge und gewisse alternative Kohärenzen entstehen, ob das überhaupt sinnvoll ist und – auch hier – welche Rolle kritische Wissenschaft spielt.
Was? Wann? Wo?
Tagung der Universität Wien und des Renner-Instituts in Kooperation mit der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AkG),
8. bis 9. Juli 2011, Wien
Kooperationspartner
Die Tagung wurde in Kooperation mit dem Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und dem Renner-Institut durchgeführt