In der aktuellen »multiplen« bzw. «Vielfach-Krise« sind Formen räumlich ungleicher Entwicklung von zentraler Bedeutung. Dies betrifft die Ursachen der verschiedenen Krisenprozesse, ihre herrschaftliche Bearbeitung und die daraus erwachsenden Folgen ebenso wie die Konjunkturen und Perspektiven emanzipatorischer Gegenstrategien und sozialer Kämpfe. Daher möchten wir die komplexen Geographien der Krise(n) und die verschiedenen Räume des Widerstands in den Mittelpunkt der kommenden AkG-Tagung stellen.
Auftaktveranstaltung
Wo tun? Räume des Widerstands - Geographien linker Politik
Donnerstag, 27. Juni 2013, 19–21 Uhr
Café ExZess, Leipziger Straße 91, Frankfurt/Main
Blockupy 2013 ist vorüber – die Diskussionen gehen weiter. Jenseits aller Debatten um staatliche Repression und Polizeigewalt muss dies vor allem bedeuten, auch weiterhin die Frage danach zu stellen, wie das europäische Krisenregime bekämpft und eine tiefgreifende und langfristige gesellschaftliche Transformation erreicht werden kann. Im Rahmen der Auftaktveranstaltung der diesjährigen Tagung der »Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung« (AkG) wollen wir die alte Frage nach dem »Was tun?« aus einer dezidiert räumlichen Perspektive aufnehmen und diskutieren, wo gegenwärtig mögliche Einsatzpunkte für Widerstand und emanzipatorische Politik liegen. Ist hierfür die europäische Ebene trotz – oder gerade wegen – der aktuellen Krisenpolitik ein geeignetes Terrain? Oder müsste angesichts der massiv ungleichen Entwicklung zwischen den einzelnen Ländern nicht vielmehr der Nationalstaat wieder eine größere strategische Rolle einnehmen? Welche Perspektiven versprechen demgegenüber soziale Kämpfe und Bewegungen, die Städte als ihr strategisches Feld begreifen? Und welche Möglichkeiten eröffnen Initiativen, die den Schlüssel zur gesellschaftlichen Veränderung in unseren alltägliche Praxen verorten? Diese und andere Fragen wollen wir gemeinsam diskutieren mit:
- Friederike Habermann (freie Wissenschaftlerin)
- Andrej Holm (Stadtsoziologe)
- Lukas Oberndorfer (Arbeitskreis kritische Europaforschung in der AkG)
- Alexis Passadakis (ATTAC)
- Karin (IL/Blockupy Ko-Kreis)
Tagungsprogramm
Donnerstag, 27. Juni 2013
15–18 Uhr
Einführungsworkshops zu kritischer Geographie und Gesellschaftsforschung
Bettina Köhler:
Uneven Development und gesellschaftliche Naturverhältnisse
Gesellschaftliche Auseinandersetzungen um »ungleiche Entwicklung« werden auch über die Frage nach der Gestaltung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse ausgetragen. In einer solchen Perspektive lässt sich aufzeigen, wie etwa Fragen der »nachhaltigen Stadtentwicklung« ebenso wie die weltweit zunehmende Bedeutung der Kontrolle über natürliche Ressourcen (wie etwa Land, Wasser oder mineralische Rohstoffe) unmittelbar mit der Gestaltung von konkreten Lebensverhältnissen im globalen Norden und Süden zusammenhängen. Die aktuelle sich verschärfende »multiple Krise« verdeutlicht dabei einmal mehr, dass sich soziale und ökologische Fragen kaum trennen lassen. Gerade auch die ökologischen Folgen gesellschaftlicher Projekte wirken sich auf unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen ungleich aus – Fragen, die schon länger unter Begriffen wie Klima- oder Umweltgerechtigkeit diskutiert werden und zunehmend verbunden werden mit Forderungen nach einer Demokratisierung der Naturverhältnisse. Im Rahmen des Workshops werden zunächst einführend einige konzeptionelle Elemente des Konzepts der »gesellschaftlichen Naturverhältnisse« und der »political ecology« vorgestellt und dann im Anschluss an gemeinsamen Beispielen diskutiert.
Claudia Wucherpfennig / Margit Rodrian-Pfennig:
Spaced Bodies − Gender, Raum und Identität im Fußball
Wie kaum ein anderer Sport und kaum ein anderes gesellschaftliches Feld fungiert Fußball bis heute als Gendergenerator. Am Beispiel eines Spielfilms werden wir im Workshop der Frage nachgehen, wie dies »funktioniert«, aber auch herausgefordert wird. Zum Einstieg werden wir aktuelle geschlechtertheoretische Ansätze vorstellen.
Daniel Keil:
Nation und Raum bei Nicos Poulantzas
Workshop zum Abschnitt über "Nation" im Hauptwerk des materialistischen Staatstheoretikers Nicos Poulantzas, der Staatstheorie. Es soll gemeinsam versucht werden, die Argumentation nachzuvollziehen.
Felix Wiegand:
David Harveys urbane Politische Ökonomie
Das Werk von David Harvey ist seit mehr als 40 Jahren ein wesenticher Bezugspunkt kritischer Geographie und Stadtforschung. Es macht konkrete Zusammenhänge in direkter Bezugnahme auf die Marxsche Politische Ökonomie analytisch zugänglich und fragt nach möglichen Perspektiven für emanzipatorische Politiken. Im Einführungsworkshop wollen wir zentrale Thesen, Begriffe und Konzepte von Harveys urbaner Politischer Ökonomie gemeinsam rekonstruieren und ihre Aktualität diskutieren.
19–21 Uhr
Öffentliche Auftaktveranstaltung
»Wo tun? Räume des Widerstands - Geographien linker Politik«
Podiumsdiskussion mit: Friederike Habermann, Andrej Holm, Lukas Oberndorfer, Alexis Passadakis, Karin / Moderation: Hannah Hecker
Ort: Café Exzess, Leipziger Straße 91, Frankfurt/M.
Freitag, 28. Juni 2013
9–10 Uhr
Registrierung
10 - 12 Uhr
Auftaktpanel
»Uneven Development – Herrschaftsverhältnisse im und mittels Raum«
Podiumsdiskussion mit: Bettina Köhler, Anke Strüver, Daniel Keil, Markus Wissen / Moderation: Bernd Belina
12–12.30 Uhr
Einführungsvortrag zu den Exkursionen
12.30–13.30 Uhr
Mittagspause
13.30–18 Uhr
Exkursionen
Carolyn Folasade Farinde / Susanne Heeg / Birgit Kasper:
Leerstand und Häuserspekulation in Frankfurt: Widerstand gegen Wohnungsnot in den 1970er Jahren und aktuell
Vor dem Hintergrund der Entwicklung Frankfurts als deutsches Finanzzentrum wird der Umgang mit gebauter Umwelt thematisiert. Es soll das Zusammenspiel von Stadt- und Büroentwicklung, Spekulation und Leerstand im Laufe der Zeit an einzelnen konkreten Gebäuden erläutert werden. Welche Rolle spielt dabei der Widerstand gegen Zweckentfremdung und welche Form nimmt Widerstand an? Wie kann man Leerstand erkennen und wo konzentriert er sich? Lassen sich - im Hinblick auf die aktuelle Wohnungsnot und rasante Mietpreissteigerungen – Büroimmobilien zu Wohnimmobilien umnutzen und welche Herausforderungen sind damit verbunden? Insbesondere der letzte Punkt wird mit der gegenwärtigen Stadtpolitik in Verbindung gebracht.
Claudia Wucherpfennig:
Migration und europäisches Grenzregime – Orte der Migration in Frankfurt/M.
Im Rahmen der Formierung eines europäischen Migrations- und Grenzregimes seit den 1990er Jahren hat sich ein »Mehrfachgrenzraum« konstituiert, in dem nationalstaatliche und EU- bzw. Schengengrenzen von einem flexiblen Netz weiterer Kontrollpunkte und Überwa-chungsinstitutionen überlagert werden. Diese stehen im Fokus der Exkursion. Nach einer kurzen Einführung ins Thema durch Sonja Buckel (Institut für Sozialforschung) führt uns das »Bildungskollektiv Bleiberecht« in einem antirassistischen Stadtrundgang zu (symbolischen) Orten in der Frankfurter Innenstadt. An mehreren Stationen werden die Lebensverhältnisse von Menschen mit prekärem und ohne Aufenthaltsstatus, Formen institutioneller Diskriminierung und deren Materialisierung sowie widerständige Praxen thematisiert. Den Abschluss bildet ein Besuch der Medieninstallation »Blackbox Abschiebung« im ehemaligen Abschiebegefängnis »Klapperfeld« (siehe blackbox.klapperfeld.de).
Charly Außerhalb / Felix Silomon-Pflug:
Kritische Theorie, Subkultur und die Neoliberalisierung der Hochschule
Die Geschichte der Frankfurter Universität im 20. Jahrhundert ist in vielerlei Hinsicht geprägt von linker Theorie und Praxis: 1924 wurde das Institut für Sozialforschung gegründet und 1951 nach dem Nationalsozialismus wiedereröffnet; in den 1960er Jahren gab ein starker SDS wesentliche inhaltliche Anstöße zur Revolte von 1968, mit denen auch Spontis und die Häuserkämpfe der 1970er Jahre in Verbindung stehen. In einzelnen Fachbereichen – hier vor allem im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften – und Instituten institutionalisierten sich diese Kämpfe schon früh und boten über Jahrzehnte hinweg ein Forum zur theoretischen Reflexion solcher Praktiken.
Diese Geschichte ist wesentlich mit dem Campus Bockenheim verbunden, der – inmitten der Stadt – sich u.a. dadurch auszeichnete, dass er nicht exklusiv wirkte: Die Zugänge waren weit und offen genug, dass Du nicht einmal unbedingt bemerkt hast, Dich gerade auf einem Campus zu befinden. Entsprechend diente er auch diversen nichtakademischen Stadtbewohner_innen als willkommener Aufenthalts- und Rückzugsort. Mit dem Umzug der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereiche wird diese Geschichte radikal abgeschnitten. Wo kein Zaun den Campus zur Stadt hin abgrenzt, finden sich städtebauliche und architektonische Figuren, die die Exklusivität unmissverständlich machen. Ein Studierendenhaus gibt es nicht, Graffitis, Plakate und Flugblätter sind unerwünscht und werden nicht geduldet.
Die Kräfteverhältnisse haben sich verschoben: Die Konstruktion einer »Stiftungsuniversität« und die hegemoniale Stellung der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften mit dem »House of Finance« als Speerspitze werben für eine Klientel, die sich mit Kritischer Theorie und studentischer Subkultur nicht mehr verträgt. Die Universität hat sich jedoch nicht nur in ihrer gebauten Umwelt verändert. Gleichzeitig kam es durch Deregulierung, Wettbewerbssteuerung und Bologna-Reformen sowie in Folge einer flächendeckenden Austeritätspolitik zu massiven Neuordnungen im Bereich des universitären Alltagsgeschäfts.
In der Exkursion werden wir vergangene und gegenwärtige Orte der Universität aufsuchen und diskutieren, welche Bedeutung die unterschiedlichen Materialisierungen gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse – von Beton über Studienordnungen bis hin zu Forschungsanträgen – für die Hochschule als möglichen Ort von Herrschaft und Widerstand haben.
Jenny Künkel:
Gentrifizierung, Polizei & Marginalisierte – Exkursion ins Frankfurter Bahnhofsviertel
Frankfurt hat ein sehr typisches Bahnhofsviertel, in dem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschiedene marginalisierte Gruppen konzentriert wurden. Denn das Sexgewerbe und die Drogenszene waren dem Bürger_innentum im angrenzenden reichen Westend und dem Banken- und Versicherungsgewerbe in der angrenzenden City unlieb. Und die Wohnungen mieteten oft am Wohnungsmarkt Diskriminierte. Seit ca. 10 Jahren wird diese Konstellation immer weniger von einem Angst- und Kontrolldiskurs begleitet, sondern auch als »bunte« »Vielfalt« vermarktet. Staatliche und private Akteur_innen fördern die Gentrifizierung des Viertels: z.B. mit einem 20 Millionen Euro schweren Förderprogramm für Investitionen in Wohnen (»Förderrichtlinie Bahnhofsviertel«), der langen Nacht des Bahnhofsviertels, und last but not least einer Verschärfung der Ordnungspolitik. 2004 verstärkte die Stadt mit dem Programm »Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention und Prävention« (OSSIP) die ordnungspolitische Seite des »Frankfurter Wegs« in der Drogenpolitik. Dieser setzte von Beginn an (1992) neben psychosozialen und medizinischen Hilfen auf eine Konzentration der offenen Drogenszene nicht nur im Bahnhofsviertel, sondern dort bevorzugt in den Innenräumen der Drogenhilfeeinrichtung, und verbannte sogenannte »auswärtige« Drogenkonsument_innen aus der Stadt. OSSIP setzt – auch auf Druck neuer Mittelschichten, die inzwischen im Viertel wohnen – die Tradition der Instrumentalisierung Sozialer Arbeit für die Ordnungspolitik fort. Polizei und Soziale Arbeit lenken Konsument_innen verstärkt in die Hilfseinrichtungen. Die Sicherheitsoffensive Bahnhofsviertel 2010/11 knüpft an die starke Tradition der Repression des Straßenstrichs in Frankfurt an. Der Strich im Bahnhofsviertel wurde bereits in den 1960/70er Jahren in Großbordelle »verhäuslicht« (Löw/Ruhne). 2010/11 verdrängten Landes- und Stadtpolizei – unter Federführung und Profilierung des CDU-Innenministers Rhein, der bald für den Oberbürgermeisterposten kandidierte – neue migrantische Straßensexarbeiterinnen (meist südosteuropäische Roma) aus dem Viertel.
Ich forsche seit längerem zu Sexarbeit und neoliberaler Stadtentwicklungspolitik und neuerdings auch zur Frankfurter Landespolizei u.a. mit Blick auf Prostitution und Drogen. Ich möchte Euch auf einen Stadtspaziergang durch das Viertel führen. Wir besuchen voraussichtlich Peter Lindner, Professor am Institut für Humangeographie, der uns einen Überblick über die Gentrifizierung des Viertels geben wird, und zugleich Einblick in seine vom 20-Millionen-Programm geförderte Dachgeschosswohnung gewährt. Zudem ist ein Termin bei einer Drogenhilfeeinrichtung vereinbart, die uns ihren Drogenkonsumraum zeigen und über ihre Erfahrungen mit OSSIP berichten will. Eventuelle weitere Termine folgen…
Daniel Mullis:
(Städtische) Soziale Bewegungen in Frankfurt
Im Rahmen des Rundgangs besuchen wir diverse historische und aktuelle Orte sozialer Konflikte, die sich im städtischen Raum manifestieren. Dabei kommen diverse Akteur_innen und Expert_innen zu Wort und Berichten von ihren Erfahrungen und führen durch die Stadt. Ausgehendvon einer Rückschau auf den Frankfurter Häuserkampf im Westend der 1970er-Jahre, wird der Übergang zu aktuellen Auseinandersetzungen um Frei- und Wohnraum geschlagen, um abschließend bei den aktuellen Auseinandersetzungen um die Frankfurter Innenstadt - die sich gerade im Zuge der Blockupy-Proteste ergeben - zu enden. Ziel ist es über das Durchstreifen der Orte und den dazugehörigen Erläuterungen in eine Reflektion über die Wirkmächtigkeit und Bedeutung von Raum bzw. physische Materialisierungen und symbolische Aufladung einzusteigen, die auch bei einem gemeinsamen Abschlussgetränk fortgeführt werden kann.
19–20 Uhr
Abendessen
20–22 Uhr
Arbeitskreistreffen / Open Space / Kaltgetränke
Mitgliederversammlung der AkG
AK Kritische Geographie
Samstag, 29. Juni 2013
10–12.30 Uhr
Sessions I
Arbeitskreis kritische Europaforschung in der AkG (AkE) – Europäische Terrains – Räume der Herrschaft, Räume des Widerstands I
Abstract der Session: Spätestens die multiple Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und ihre Entfaltung in der Europäischen Union hat Fragen des Raumes – über räumliche Praxen, Strategien und Strukturen – zurück auf die Tagesordnung gebracht. Schon bisher existierende Ungleichheiten innerhalb der Europäischen Union verschärfen sich massiv: Während das europäische Zentrum – zumindest bisher – vergleichsweise gut durch die Krisen gekommen ist, befinden sich die peripherisierten Mitgliedstaaten seit dem Ausbruch der Krise in einer ökonomischen und sozialen Abwärtsspirale. Obwohl es das Zentrum war, das sein Nachfrageproblem durch Prekarisierung der Arbeit und Senkung der Löhne räumlich externalisierte, gelingt es zumindest teilweise einen über seinen Verhältnissen lebenden »verschuldeten Süden« als Krisenursache zu konstruieren. Die Kämpfe verlaufen vorerst weitgehend parallel zur beschleunigt ungleichen und kombinierten Entwicklung des europäischen Kapitalismus. Da sich die Austeritäts- und Wettbewerbspolitiken gegen auf der nationalstaatlichen Ebene fixierte soziale Rechte richten, sind sie primär national orientiert, auch wenn zunehmend Versuche einer Transnationalisierung bzw. Europäisierung zu beobachten sind. Gleichzeitig bilden sich in den nationalstaatlichen Bewegungen neue Muster räumlich-politischer Praxen heraus, in der Plätze großer Städte, Stadteile und konkrete Lebensräume (wie Wohnraum) (re-)politisiert werden. Um sicherzustellen, dass die bestehenden Kräfteverhältnisse nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden, kommt es zu einer beschleunigten räumliche Neuzusammensetzung des europäischen Apparate-Ensembles, die nicht einfach zu einer Europäisierung der Wirtschaftspolitik führt, vielmehr werden insgesamt jene – mitunter auch nationalstaatlichen – Apparate aufgewertet, deren Strukturen besonders selektiv gegenüber den Interessen den Subalternen wirken. Das Panel will diese räumlichen Verschiebungen der europäischen Terrains vertiefend analysieren. Mit welchen neu verdichteten Herrschaftsstrategien sind wir konfrontiert? Welche Akteure und Bündnisse bestimmen diese? Welche Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten bestimmen die gegenwärtige Konjunktur? Und mit welchen (räumlichen) Strategien kann kritische Wissenschaft intervenieren? Im Panel soll auch ein Ausschnitt jener Arbeiten und Diskussionen abgebildet werden, die wir im Rahmen des Arbeitskreises kritische Europaforschung der AkG in den letzten eineinhalb Jahren vorangebracht haben.
Referierende:
Karin Fischer:
Lateinamerikanische Abhängigkeitstheorien revisited: Zentrum und Peripherie im europäischen Integrationsprozess
Im Gefolge der ersten Weltwirtschaftskrise 1929 erarbeitete der argentinische Ökonom Raúl Prebisch ein Zentrum-Peripherie-Modell, das auf nachteiligen Spezialisierungsmustern und ungleichen politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnissen gründet. Auf ihn aufbauend entwickelten ab Mitte der 1960er Jahre, getragen von der revolutionären Aufbruchsstimmung dieser Zeit, die lateinamerikanischen DependenztheoretikerInnen radikalere Analysen über ungleiche Entwicklung. Ihr Anliegen war es, die spezifische Ausformung und das räumliche Muster abhängig-kapitalistischer Entwicklung in der Peripherie zu erklären und progressive Auswege zu formulieren. In unserem Beitrag gehen wir der Frage nach, inwieweit die Annahmen der lateinamerikanischen Abhängigkeitstheorien heute zum Verständnis des krisenhaften Verhältnisses zwischen Zentrum und Peripherie in der EU beitragen können. In einem weiteren Schritt ist zu klären, welche Krisenphänomene unberücksichtigt blieben und wo, angesichts aktueller Entwicklungen, Erweiterungen im Theoriegebäude angezeigt sind. Besonderes Augenmerk gilt den politischen Antworten der DependenztheoretikerInnen. Für sie war ein Ausweg aus abhängiger (Unter-)Entwicklung nur über eine Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Eigenständigkeit der Peripherie denkbar. Wir stellen die verschiedenen entwicklungsstrategischen Optionen mit ihren Möglichkeiten und Grenzen zur Diskussion. Mit diesem Rückgriff auf die lateinamerikanischen Vorschläge und Erfahrungen wollen wir die Debatte über Alternativen anreichern.
Sebastian Wolff:
Europäische Geopolitik in der Krise des Neoliberalismus
Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 haben die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Regulation des globalen Kapitalismus eine ungeahnte Dynamisierung erfahren. Auf der Suche nach profitablen Absorptionsmöglichkeiten für das überakkumulierte Kapital wird dabei nicht nur um die Neujustierung der funktionalen Parameter der Kapitalakkumulation gestritten. Auch deren bisherige räumliche Konfiguration sieht sich mit unterschiedlichen Strategien ihrer Re-Organisation konfrontiert. Weitgehend ungebrochen scheint in diesen Auseinandersetzungen die Dominanz jener Akteure zu sein, die auf eine Radikalisierung der neoliberalen ›Globalisierung‹ setzen: Der stockenden Kapitalakkumulation sollen durch den Doppelschritt immer vehementerer Austeritätspolitiken nach Innen und verstärkter Expansion nach Außen neue Impulse versetzt werden. In der Europäischen Union zeigt sich diese Bewegung in hervorgehobener Weise. Während den einheimischen Bevölkerungen das neoliberale »Austeritätskorsett« immer enger angelegt und so eine Wiederbelebung der Kapitalakkumulation durch eine Ankurbelung der Binnennachfrage nachhaltig unterminiert wird, steigt die Bedeutung geopolitischer Unternehmungen zur »Erschließung neuer Märkte, neuer Produktionskapazitäten und Ressourcen und neuer Chancen und Beschäftigungsmöglichkeiten an anderen Orten« (Harvey 2005: 111). Die Krise des Neoliberalismus führt so (bisher) nicht zu einer Abkehr von seinen zentralen Regulationsmodi, sondern im Gegenteil zu ihrer autoritären Forcierung – und damit zu immer massiveren Angriffen auf die Lebensbedingungen eines Großteils der Menschen innerhalb wie außerhalb der kapitalistischen Zentren. Während sich jedoch von kritischer Seite bereits intensiv mit Austeritätspolitiken, Demokratieabbau und deren Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschen innerhalb Europas beschäftigt wird, steht eine Beschäftigung mit den neuen imperialistischen Begehrlichkeiten der EU und ihren Auswirkungen auf die Raumökonomie des globalen Kapitalismus und seine ungleiche geographische Entwicklung bisher weitgehend aus. Im Vortrag soll daher auf die Bedeutung geopolitischer Unternehmungen als konstitutiver Voraussetzung für die Möglichkeit der Durchsetzung eines »autoritären Wettbewerbsetatismus« (Oberndorfer) im Inneren der EU eingegangen werden.
Stefanie Hürtgen:
Zur Containerisierung des Sozialen
tba
Hans-Dieter von Frieling:
Europas Finanzkrise und die Regionalentwicklung in der Peripherie der EU – Neuformierung der regionalen Ungleichheiten?
Die Kreditkrise des Euro verläuft derzeit als Staatsschuldenkrise vor allem einiger EU-Staaten am südlichen und westlichen Rand der EU. Die Auswirkungen, sichtbar in wachsender Arbeitslosigkeit und Verarmung, vertiefen die regionalen Disparitäten in der EU. Die ökonomische und räumliche Peripherie der EU ist zum »Sanierungsfall« geworden, bei dem die EU-internen Gewinner der imperialistischen Konkurrenz mit Austeritätspolitiken und Strukturanpassungsforderungen vorschreiben, welche Ziele sich die »Verlierer« zu setzen haben. Führt die Krisen«bewältigung« zu einer Neuformierung der regionalen Ungleichheiten? Aufholende Entwicklung, Abbau von Disparitäten und Konvergenz standen lange Zeit hoch im Kurs und galten nicht nur als EU-Rhetorik. Aber welche ökonomischen und sozialen Strukturen haben Regionalpolitik, Binnenmarkt und Währungsunion in der Peripherie geschaffen und welche geraten jetzt in die »Krise«? Am Beispiel griechischer Regionen verdeutlicht der Rückblick Funktionen und »Mechanismen« regional ungleicher Entwicklung. Diese liefern Ansatzpunkte, eine potentielle zukünftige raumökonomische Entwicklung – aufgrund einer Strukturanpassungs- und Sparpolitik oder einer alternativen Regional- und Wirtschaftspolitik (z.B. Austritt aus dem Euro) – zu beurteilen.
Lukas Oberndorfer:
Die räumliche Neuzusammensetzung des europäischen Staatsapparate-Ensembles im autoritären Wettbewerbsetatismus
Angesichts der Politik in den »Krisenländern« und der Beschlussfassung der »Economic-Governance« (sogenanntes Six-Pack) habe ich bei der letzten AkG-Tagung im Herbst 2011 die These vertreten, dass es in der Europäischen Union zu Herausbildung eines autoritären Wettbewerbsetatismus kommt, der unter anderem eine räumliche Re-Konfiguration des europäischen Staatsapparate-Ensembles (Buckel/Georgi/Kannankulam/Wissel) umfasst: »Angesichts der sich durch die Krise aufstufenden Instabilitäten, des schmelzenden Konsenses und der dadurch zunehmenden Kämpfe der Subalternen bietet der autoritäre Wettbewerbsetatismus eine Lösung durch repressive Herrschaftstechniken an, indem er neue `institutionelle´ Präventivdispositive entwickelt. […] Diese Dispositive [sind] auf unterschiedlichen Maßstabsebenen angesiedelt. Nicht selten sind es jene Ebenen deren strukturelle Selektivität, die besten Ausgangsbedingungen für die Durchsetzung des autoritären Wettbewerbsetatismus bietet.« Eine autoritäre Konstitutionalisierung von neuem Wirtschaftsrecht, »zielt darauf das Verhältnis der unterschiedlichen Maßstabsebenen des europäischen Staatsapparate-Ensembles weiter zu flexibilisieren. Sie soll den dominanten Staatsapparaten und den in ihnen eingeschriebenen Fraktionen eine optimale Ausnützung und Verschiebung der Ebenen ermöglichen und damit die Durchsetzung ihrer Interessen erleichtern.« Die seither beschlossenen beziehungsweise geplanten Instrumente (Fiskalpakt, Two-Pack und die angedachten Pakte für Wettbewerbsfähigkeit) bestätigen dieses Muster: Während etwa die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Kommission und die nationalen Finanzministerien massiv aufgewertet werden, kommt es zu einer drastischen Entwertung parlamentarischer Terrains. Anhand empirischer Schlaglichter dieser Re-Skalierungen werde ich versuchen, die räumliche Neuzusammensetzung des Europäischen Staatsapparate-Ensembles im autoritären Wettbewerbsetatismus genauer zu fassen.
Tino Petzold:
Die rechtliche Reskalierung der Austeritätspolitik
Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise erscheint in der Europäischen Union auch als Krise der Staatshaushalte, hervorgerufen durch das unmittelbare staatliche Krisenmanagement im Anschluss an den Ausbruch der Krise in 2008. Mit der Zuspitzung dieser fiskalischen Krise schwenkte die Krisenbearbeitung unter dem Banner der strukturell ausgeglichenen Staatshaushalte zunehmend auf den Pfad der ausgabenseitigen, sprich austeritätspolitischen, Konsolidierung ein. Die grundsätzliche Forderung nach ausgeglichenen Staatshaushalte lässt sich im europäischen Maßstab bis zum Vertrag von Maastricht und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zurückverfolgen. Die unmittelbare Blaupause für die aktuelle Runde bilden aber die im Zuge der Föderalismusreform II 2009 in der BRD und den Bundesländern eingeführten »Schuldenbremsen«, deren Kriterien eine deutliche Verschärfung gegenüber Maastricht darstellen. Dieses Modell wurde über den Fiskalpakt in europäischen Maßstab reskaliert, wobei eine mitgliedsstaatliche Verankerung mit Verfassungsrang vereinbart wurde. Zu beobachten ist als Effekt eine multiskalare Konstitutionalisierung von Austeritätspolitik, in der ausgabenseitige Kürzungen notfalls per Gericht durchgesetzt werden können. Im Vortrag werde ich mein Promotionsprojekt vor und zur Diskussion stellen, welches sich mit den rechtlichen Geographien der Schuldenbremsen auseinandersetzt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Prozesse der Reskalierungen der Schuldenbremse, die juridischen Kämpfe um deren rechtliche Einschreibung und die strukturierenden Effekte der multiskalaren Konstitutionalisierung.
Alltägliche Raumpraxen
Anne Mönch / Matthias Hasenmaier:
Einblicke in individuelle Krisenverräumlichungen – Veränderungen und Alltag in Athen
Das durch das Leben vor Ort eine ganz andere Raumvorstellung der Krise in Griechenland erzeugt wird, als durch die Auseinandersetzung mit der Auslandsberichterstattung in Deutschland, scheint leicht verständlich. Doch der Vortrag möchte genau bei dem leicht Verständlichen ansetzen und sich an einer Mikroskopie individueller Krisenerlebnisse versuchen. Ausgangspunkt bietet dabei, wie angedeutet zum einen eine touristische Sicht auf Athen, die durch die Selbsterfahrung langsam unterhöhlt wird. Zum anderen spielt ein Blick eine Rolle, der nicht nur durch einen direkten Vergleich eines dreijährigen städtischen Verfalls geprägt wurde, sondern auch durch ein dichtes Netz sozialer Beziehungen in der an ihre sozialen Grenzen kommenden Gesellschaft. Die Darstellung eigener Erfahrungen und Erlebnisse der Vortragenden soll das Alltagsleben in Athen und »Krisen« in ihrer sich auf der Mikroebene abzeichnenden Komplexität veranschaulichen. Es soll unter anderem anhand erster Ergebnisse einer Auswertung qualitativer Interviews erläutert werden, inwiefern »die Krise« die Wahrnehmung und Routinen städtischer Alltagsorte von AthenerInnen beeinflusst. Dies kontrastiert zum einen Auseinandersetzungen mit »Krisen« auf einer abstrakten und theoretisch formulierten Ebene und zwingt zum Handeln. Zum anderen bietet der Erkenntnisgewinn auf der Ebene individueller Krisenpraxislogiken die Möglichkeit der medialen Karikatur sowie gesellschaftlichen Ressentiments die Basis zu entziehen ohne die emphatische und leibliche Ebene zu verlassen, die Grundlage aller Alternativen und Solidargemeinschaften sein kann.
Julia Tulke:
Die Ästhetik der Krise. Beobachtungen von den Straßen Athens
In Athen ist die Krise nicht mit abstrakten Ideen zu fassen, sondern vielmehr als ein Aggregatzustand der Straßen der Stadt. Am sichtbarsten ist dieser wohl in den Manifestationen des sozialen Notstandes in Meeren von neune Obdachlosen, Drogensüchtigen und dumpster divers. Diese Szenerie ist auch was mein Verständnis der Stadt als Ort der Krise prägt. In einem Feldforschungsaufenthalt in den vergangenen sieben Wochen habe ich mich jedoch gezielt einem anderen Ausschnitt der Straße gewidmet und mich mit poltischer street art im Rahmen der Krise auseinandergesetzt1. Street art als subversives, kreatives urbanes Phänomen hingegen hat in Athen im Rahmen der Krise2 einen massiven Schub erfahren. Zunächst werden einmal angebrachte Arbeiten seltener beseitigt. Darüber hinaus führt die Politisierung seit 2008 in Kombination mit einer hohen Arbeitslosigkeit zu einer vermehrten Freisetzung kreativer Energien. So sind in zentralen Stadtteilen Athens leeren Wände zuweilen eine Rarität. Auch im Bezug auf die Inhalte kann man klare Bezüge zu rezenten politischen und sozialen Kämpfen im Kontext der Krise lesen. Diese oszillieren stetig zwischen einer Ebene symbolischer Abstraktion sowie einer tiefen Verwurzelung in der tatsächlichen Ästhetik der zahlreichen Proteste. So steht etwa die ikonische Figur der Gasmaske – wahrscheinlich die konstanteste Erscheinung an Athener Wänden – abstrahiert für eine Kritik der Militarisierung von Stadtpolitik und einer beengenden Politik der Angst, gehört aber gleichzeitig auch zur Standardausrüstung eines jeden Aktivisten bei Protesten. Auch die Gebäude, die sich durch street art symbolisch zu Eigen gemacht werden, sind oft symbolisch komplex aufgeladen.Für die AkG Tagung zum Thema »Uneven Development. Geographien der Krise(n) – Räume des Widerstands« würde ich daher gerne entlang der Materialien aus meiner Feldforschung diskutieren, wie im Falle Athens widerständige Potentiale räumlich artikuliert und ausgehandelt werden. Eine Kernfrage dabei ist für mich auch jene danach, wie der Krisenkontext konkret analytisch zu fassen ist und wie man diesen im Bezug auf Forschung im Allgemeinen sowie mein Projekt im Konkreten produktiv machen kann.
Sylvana Jahre:
Raumproduktion durch Grenzziehung – Eine Analyse von Alltagspraktiken als raum-konstituierende Faktoren im Hinblick auf Asylbewerberheime in Berlin
Kein soziales Gebilde, ob nun eine Gruppe, oder die eigene Identität der Subjekte existiert ohne Grenzen und so kann es auch keinen Sozialraum ohne Grenzen geben. Wie sich nun der Sozialraum für Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Berlin konkret (re-)produziert, lässt sich am besten daran untersuchen, inwiefern diesen Menschen Grenzen gesetzt werden. Die Alltagspraktiken der Bewohnerinnen und Bewohner sind dabei von zentraler Bedeutung – spiegeln sie nicht nur die politischen und rechtlichen Grenzen wider, sondern vor allem auch wie diese tatsächlich ihre Anwendung finden. Die dabei entstehenden sozialen Räume zeigen, wie die Krisenräume der Welt auf kleinräumiger Ebene abgebildet werden, wie sie Abgrenzungsmechanismen unterliegen und wie die Menschen damit zusätzlichen Marginalisierungsprozessen ausgesetzt sind. Diese Thesen und Gedanken untersuche ich derzeit in meiner Diplomarbeit und möchte sie gerne auf der Tagung genauer ausführen und zur Diskussion stellen.
Johannes Bohle:
»Family Favela« – räumliche Praxis in den französischen Überseedepartements
Die Situation in den französischen Überseedepartements ist angespannt. Die vorherrschende soziale Krise manifestiert sich in vielfältiger Art und Weise. Von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurden vor allem die mehrwöchigen Generalstreiks auf Martinique und Guadeloupe im Frühjahr 2009. 2011 wurde von der französischen Regierung das »année des outre-mer« begangen. Zeitgleich zu den offiziellen Publikationen und Veranstaltungen veröffentlichte ein aus den französischen Überseedepartements stammendes Künstler-Kollektiv das Lied »Family Favela«, in welchem sich die Künstler mit der aktuellen Situation auseinandersetzen. Die vorherrschenden gesellschaftlichen Spannungen und sozio-ökonomischen Krisen resultieren aus dem kolonialen Erbe und der aktuellen politischen, sozialen und ökonomischen Situation. Der vorliegende Beitrag untersucht in Anlehnung an ein breites Verständnis des uneven development-Konzeptes wie sich gesellschaftliche Macht- und Herrschaftverhältnisse im Raum manifestieren und wie diese von verschiedenen Akteuren re-produziert werden. Als Grundlage für diese Analyse dient die, im Rahmen meiner Masterarbeit durchgeführte, Diskursanalyse des Liedes und damit zusammenhängender Dokumente. Es wird herausgearbeitet, dass die soziale Krise in vielschichtigen Diskursen eingebettet ist und die Akteure räumliche Praxis als Strategien der Einflussnahme anwenden.
Politische Ökonomie der Stadt
Sebastian Schipper:
Wohnungsnot, Gentrifizierung und Grundrentenbildung in Frankfurt am Main aus Sicht der rent-gap Theorie
In gesellschaftlichen und politischen Debatten rund um Gentrifizierungsprozesse werden insbesondere im deutschen Sprachraum häufig primär der Zuzug von Künstler_innen und Studierenden oder einseitig ein verändertes Nachfrageverhalten als Ursachen von Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen benannt. Dementgegen soll in dem Beitrag am Beispiel der Bodenpreisentwicklungen in Frankfurt am Main aufgezeigt werden, dass die Eigentümer_innen von Grund und Boden sowie anlagesuchendes Kapital viel stärker als potenzielle Initiatoren von Gentrifizierungsprozessen in den Blick zu nehmen sind. Angesichts der stadtprägenden Relevanz des Bodenmarktes wird argumentiert, dass steigende Grundrentendifferenzen zwischen Stadtteilen bzw. die rent gap zwischen potenzieller und tatsächlich realisierter Grundrente (vgl. Smith 1996) als Motoren gegenwärtiger Gentrifizierungsprozesse zu interpretieren sind. Demgemäß greifen kulturalistische Ansätze zur Erklärung von Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen zu kurz, die ausschließlich auf die Pionierwirkung alternativ-kreativer Milieus oder primär auf veränderte Wohnpräferenzen setzen.
Kris Jan Maschewsky:
Spatial fix – spatio-temporal fix – Schöpfung und Entwertung fiktiven Kapitals. Überlegungen zur historischen Entwicklung der Stellung urbaner Immobilienmärkte in der Gesamtakkumulation und ihrer theoretischen Konzeptualisierung
Innerhalb der kritischen Geographie und der kritischen Stadtforschung gibt es eine zwar lange Zeit marginalisierte, aber inzwischen reiche Tradition der Analyse und Reflexion der Zusammenhänge von Widersprüchen und Verwerfungen der globalen Kapitalakkumulation mit Prozessen der Stadtentwicklung. Insbesondere David Harveys Begriff des »spatial fix« hob schon früh auf die Funktion von Investitionen in die gebaute städtische Umwelt als Möglichkeit der Versenkung überakkumulierten Kapitals ab. Diese Möglichkeit der Bindung von »überflüssigen« Kapitalmassen in der gebauten Umwelt gründet auf der besonderen Qualität von Investitionen in Gebäude und Grundstücke: vorrangig ihrer »in der Regel« äußerst langsamen Amortisation, d.h. der relativ hohen Umschlagszeit des Kapitals im Immobiliensektor. Mit der Internationalisierung und Finanzialisierung der Immobilienindustrie, insbesondere dem Relevanzgewinn von Verbriefungsmärkten für Hypothekenkredite und ihrer Reregulierung seit den 1980er Jahren, zunächst in den USA, hat sich dieser Zusammenhang weiterentwickelt. Zum einen wurden Immobilieninvestitionen vorrangig vermittels der Handelbarkeit von verbrieften Hypotheken zu liquiden Kapitalanlageformen und damit für weitere Akteure und die von ihnen verwalteten Kapitalien attraktiv. Dies führte zu Wellen der neuerlichen Inwertsetzung städtischen Raumes, die sich als Stadtumbau, städtische Revitalisierung, Gentrifizierung, Baubooms, Preissteigerungen u.ä. sozialräumlichen und physisch-baulichen Ausdruck verschaffen. Die Versenkung überakkumulierten Kapitals in die gebaute Umwelt hat sich damit einerseits verstärkt – zum anderen bringt sie aber immer häufiger spekulative Übertreibungen und insbesondere den Aufbau von Immobilienblasen mit sich. Diese widersprüchliche Entwicklung deutet sich in Harveys Erweiterung seines spatial fix-Theorems um die zeitliche Komponente an: spatial fixes werden prekärer und scheitern oftmals relativ schnell. Dennoch hat die Immobilienwirtschaft in den letzten zwei Jahrzehnten in vielen Staaten, die derzeit von Immobilienkrisen geplagt sind, in erheblichem Maße zum Wirtschaftswachstum beigetragen und einerseits Menschen in Lohnarbeit gesetzt, andererseits aber auch die Ersetzung von Lohneinkommen durch die Schöpfung Fiktiven Kapitals auf Basis von Immobilienpreissteigerungen ermöglicht. Um diese Entwicklung auf den Begriff zu bringen, sollen die Kategorien der Schöpfung und Entwertung fiktiven Kapitals im Immobiliensektor in den Blick genommen werden. Sind sie geeignet, um Phänomene wie das räumliche und zeitliche Nebeneinander von Wohnungsnot und Leerstand zu erklären? Und führt der Kampf um die Realisierung bzw. Entwertung fiktiven Kapitals zu einer Welle der Akkumulation durch Enteignung, wie es sich in den massenhaften Zwangsräumungen überschuldeter WohnraumeigentümerInnen von den USA über Ungarn bis nach Spanien andeutet? Der Vortrag bietet keine neuen Forschungsergebnisse, sondern versucht sich an einer verdichteten, systematisierenden und interpretierenden Darstellung des Forschungsstandes und möchte damit einen Beitrag zu seiner Diskutierbarkeit leisten.
Felix Wiegand:
Städte unter dem Regime der Austerität. Zur Politischen Ökonomie kommunaler Haushalte in Deutschland
tba
Krise der Naturverhältnisse
Sybille Bauriedl:
Gender, Klimapolitik und kapitalistische Verwertung. Perspektiven einer sozial-ökologischen Transformation
Im Megatrend der Ökonomisierung und kapitalistischen Aneignung der Natur, von Körpern und des Sozialen taucht die soziale Kategorie Gender in doppelter Weise als Schlüsselkategorie auf, zum einen werden Geschlechterrollen im Kontext eines globalen Umweltmanagements reproduziert, zum anderen wird eine geschlechtsspezifische kapitalistische In-Wert-Setzung entworfen. Die Mechanismen dieser Praxis werde ich für die Klima- und Energiepolitik beleuchten. Für den aktuell dominierenden Green Economy-Diskurs ist ein backlash in Geschlechterdualismen festzustellen. Die Naturalisierung und Essentialisierung von Geschlechterverhältnissen hat sich im Vergleich zum Nachhaltigkeitsdiskurs der 1990er Jahre wieder verfestigt. Der Beitrag verweist erstens auf die aktuelle Debatte der feministischen politischen Ökologie und feministischen Ökonomik und wird zweitens die Transformationsforschung beleuchten, die einen aktuellen Paradigmenwechsel der Nachhaltigkeitsforschung einläutet. Hiermit möchte ich die Anschlussstellen der Krisenbearbeitung aus Perspektive von reflexiver Modernisierung, Übergang, Transformation diskutieren.
Christian Schneider:
Welchen Wert hat Natur? Kritische Perspektiven auf das Konzept der Ökosystemdienstleistungen
Spätestens die globalen Millennium Ecosystem-Assesment-Reporte haben dem Konzept der ›Ecosystem Services‹ zum endgültigen Durchbruch verholfen. Die UN versteht darunter den Nutzen, den Menschen aus Ökosystemen ziehen, wie etwa Klimaregulation, Wasserreinigung oder die Bestäubung von Nutzpflanzen durch Insekten. Das Europäische Parlament hat seine Mitgliedsstaaten aufgefordert bis 2014 deren jeweiliges Naturkapital zu erfassen. Länder wie Mexiko und Brasilien unternehmen große Anstrengungen den institutionellen Rahmen zu gewährleisten, um einen Markt für Ökosystemdienstleistungen zu schaffen. Weitgehend unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit hat sich dieser konzeptionelle Ansatz in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik durchgesetzt. Die Resultate natürlicher Prozesse sollen als Dienstleistungen monetär bewertet und in definierbaren Einheiten handelbar gemacht werden. Die Verfechter/innen des Ansatzes sehen darin die Möglichkeit Umweltzerstörung kalkulierbar zu machen und als einen Faktor in Wirtschaftskreisläufe zu integrieren. Andere glauben an die Überzeugungskraft von Geldwerten in Planungsabläufen. Der Markt soll es richten. Und während Marktmechanismen die Auswirkungen von Umweltzerstörung regeln sollen, wird Natur noch umfänglicher zum Ort für Kapitalakkumulation. Markiert der Ansatz also eine neue Qualität der Ausweitung des Kapitalismus auf die Sphäre des Natürlichen? Im Fahrwasser und Nachgang des Nachhaltigkeitsdiskurses haben es NGOs, ForscherInnen, PolitikerInnen, PlanerInnen und ManagerInnen in den letzten 10 Jahren gelernt, in der Nomenklatur von Ökosystemdienstleistungen und Naturkapital zu denken und zu sprechen. Wenngleich auch von VerfechterInnen auf ethische Fragen verwiesen wird, arbeiten die Ökologie und weitere Naturwissenschaften an der Operationalisierung des ursprünglich ökonomischen Konzepts. Kritische Stimmen und Positionen sind vor allem im deutschsprachigen Raum sehr überschaubar. Im Vortrag werden einführend der Ansatz der Ökosystemdienstleistungen und kritische Perspektiven darauf vorgestellt. Um in der großen Fülle der Veröffentlichungen eine strukturierte Diskussion zu ermöglichen, werden mögliche Dimensionen der Kritik skizziert und die Ergebnisse eines Reviews von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Positionspapieren und Pressebeiträgen vorgestellt.
Julian Kuppe:
Zirkel der Ohnmacht. Postpolitik, Ideologie und gesellschaftliche Naturverhältnisse
Die gesellschaftlichen Krisen äußern sich im rasenden Stillstand. Wie kommt diese Situation zustande? Als Analyse- und Kritikmodell dient gegenwärtig häufig der Modus der Postpolitik: Die Berufung auf eine Bedrohung durch etwas der Gesellschaft Äußerliches schafft Ausnahmezustände, die der Stillstellung gesellschaftliche Widersprüche durch autoritäre Staatlichkeit und das »Management von Sachzwängen« dienen (u.a. Swyngedouw 2011). Ein darüber hinausgehendes Modell stellt das Konzept der simulativen Politik dar, welches davon aus geht, dass eine tatsächliche Bearbeitung der gesellschaftlichen Krisen gar nicht möglich ist und daher simuliert wird, um die bestehenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten (Blühdorn). Diese Analysen beschreiben Erscheinungen an der Oberfläche der Gesellschaft sehr gut, sie liefern aber keine ausreichenden Erklärungen dafür, warum diese Entwicklungen stattfinden. Swyngedouw stützt sich hauptsächlich auf hegemonietheoretische Argumentationen, bei Blühdorn stehen modernisierungstheoretische Konzepte dahinter. Der Verzicht auf bestimmte kritische Begriffe und ihr Ersatz durch unbestimmte Metaphern, scheint hier Vorstellungen von Gesellschaftlichkeit ideologisch zu verdoppeln und zugleich damit eine weitere Vertiefung gesellschaftlicher Naturverfallenheit anzuzeigen. Es werden Überlegungen dazu vorgetragen, in denen die gesellschaftlichen Erscheinungen, die Swyngedouw und Blühdorn beschreiben, mit einer Kritik der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und einer Kritik ideologischer Formen der Vergesellschaftung verbunden werden.
Philippe Kersting:
Marginal lands als strategisches (Un)Sichtbarmachen von Ressourcen
Die Konvergenz der globalen Wirtschafts-, Finanz-, Energie-, Nahrungs-, und Umweltkrisen in den Jahren 2007 und 2008 hat zu einer Wiederentdeckung des Agrarsektors und zur weltweiten Beschleunigung der Kommodifizierung und Finanzialisierung von Land geführt. Um den Vorwurf abzuwehren, diese Entwicklung gefährde die Nahrungssicherheit der Menschen in den betroffenen Regionen, wird häufig das Konzept der »marginal lands« herangezogen. Das Argument besteht darin, dass nur noch in Land »investiert« werden soll, welches zur Zeit nicht oder kaum für die agrarische Nahrungsmittelproduktion Produktion genutzt wird. Die Definition und Identifikation von »marginal land« ist häufig allerdings alles andere als unumstritten ...
Franziskus Forster:
Urbane Land- und Ernährungspolitiken in Städten des Globalen Nordens: Die Wiederaneignung urbaner Landwirtschaft und die Kämpfe von Solidarisch Landwirtschaften! (SoliLa!) in Österreich
In diesem Beitrag wird im Kontext der Vielfachkrise und insbesondere im Zusammenhang mit den Dynamiken der Landkonzentration und von Land Grabbing in Europa anhand des Beispiels der Landbesetzung von SoliLa! im Jahr 2012 in Wien der Frage nachgegangen, inwiefern urbane Kämpfe um Land mit diesen Krisenprozessen in einem Zusammenhang stehen und insbesondere, welche Bedeutung (transnationale) Lernprozesse in sozialen Bewegungen diesem Kontext haben. Die Strategie der Landbesetzung kann als eine spezifische materielle und symbolische räumliche Praxis interpretiert werden, in der insbesondere folgende Dimensionen aufgeworfen werden: a) Unterlaufen der Dichotomie von Stadt und Land, sowie von Produktion und Konsumption, auf dessen Basis Allianzen zwischen der Bewegung für Ernährungssouveränität und der Bewegung für das Recht auf Stadt möglich wird; b) die »Politik der Lebensweisen«: über diese Intervention wird (punktuell) die tief in den Alltagsverhältnissen verankerte »imperiale Lebensweise« in Frage gestellt und zugleich werden konkret Alternativen geschaffen und angeeignet. SoliLa! verfolgt dabei ein solidarökonomisches Projekt einer »Solidarischen Landwirtschaft«. c) die Frage der Demokratisierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse und der Produktion von Stadt insbesondere über folgende Praxen: die Aneignung der eigenen Geschichte »von unten«; die Aneignung von Produktionsmitteln und die transformativen Praxen; sowie in diesem Fall die Intervention im Kontext der Universität für Bodenkultur, worüber die Frage der Produktionsweise aufgeworfen wird. Abschließend wird zusammenfassend der Frage nachgegangen, wie diese konkreten Praxen mit den komplexen Krisendynamiken in Verbindung stehen und es wird diskutiert, welche Ambivalenzen, Widersprüche und offenen Fragen sich anhand dieses Beispiels aufwerfen.
12.30–13.30 Uhr
Mittagspause
13.30–16 Uhr
Sessions II
AkE – Europäische Terrains – Räume der Herrschaft, Räume des Widerstands II
Pia Eberhardt:
»Demokratie statt Fiskalpakt«. Kritische Wissenschaft und die Intervention in die Krisenpolitik
John Kannankulam / Forschungsprojekt Staatsprojekt Europa:
Hegemonieprojekte in der Krise
Mathis Heinrich:
Die Krise als Chance für das Europäische Kapital. Transnationale Dynamiken in der Eurokrise und ihrer Bearbeitung
Während kaum ein Zweifel daran bestehen kann, dass die (frühen) Reaktionen auf die Wirtschafts- und Bankenkrise in 2008 sowie die Rettungsschirme zur Stützung der in Refinanzierungsprobleme geratenen Staaten der südeuropäischen Peripherie (und Irland) vor allem von nationalen Akteuren und Kalkülen geprägt sind, treten spätestens mit der krisenbedingten Reform der EU Economic Governance sowie den ersten Ansätzen zur Re-Regulierung der europäischen Finanzmärkte in 2010 wieder stärker transnationale Dynamiken, Selektivitäten und Strategien in den Vordergrund europäischer Politik- und Deutungskämpfe. Dies ist keineswegs überraschend, spiegeln sich doch sowohl in der Finanz- als auch in der Eurokrise vor allem die Widersprüche sich zunehmend transnationalisierter Akkumulationsstrategien und Verschuldungsstrukturen in Europa wieder. Gleichzeitig ist die europäische Wirtschafts- und Währungsintegration stets von transnationalen Kapitalgruppen und Verbänden entscheidend voran getrieben und getragen worden, die nun auch heute versuchen die Krise zur Durchsetzung ihrer ökonomischen Strategien zu nutzen und ihre Ziele langfristig in die europäischen Politikapparate einzuschreiben. Dabei ist es vor allem ein sich in Zuge des Integrationsprozesses zunehmend europäisierter Industrie- und Bankenkomplex, der auf eine Verschärfung und Ausweitung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit drängt, um die eigene Position in der globalen Konkurrenz zu stärken. Die autoritäre Restrukturierung der europäischen Peripherie zum Investitions- und Billiglohnstandort für das transnationale europäische Kapital ist Teil dieser neuen paneuropäischen und global orientierten Export- und Wettbewerbsfähigkeitsstrategie, stößt jedoch nicht nur aufgrund sich zuspitzender Widersprüche zwischen nationalen (Finanz-) Kapitalinteressen und innerhalb weiter Teile der europäischen Bevölkerung an seine politischen und sozialen Grenzen, sondern erscheint auch mit Blick auf die globalen Produktions- und Nachfrageketten sowie die Finanz- und Währungsbeziehungen alles andere als vielversprechend.
Nikolai Huke:
Zwischen alltäglicher Prekarität, lokaler Gegenwehr und europäischen Krisenprotesten: Die Eurokrise als Herausforderung für soziale Bewegungen in Spanien
Als Reaktion auf die mit der spanischen Immobilienkrise deutlich gestiegene Staatsschuldenquote und die daraus resultierenden Refinanzierungsschwierigkeiten des spanischen Staates sowie das europäische Krisenmanagement wird durch die Regierungen der sozialdemokratischen PSOE und der rechtskonservativen PP seit 2010 ein drastisches Austeritätsprogramm implementiert. Das Rentenalter wurde erhöht, die ohnehin sehr schwach ausgeprägte soziale Absicherung reduziert, der Arbeitsmarkt und die Tarifverhandlungsstrukturen wurden flexibilisiert, die Steuerlast wurde zuungusten der Lohnabhängigen umverteilt, eine Kreditobergrenze (‚Schuldenbremse‘,) wurde in die nationale Verfassung aufgenommen. Infolge von Krise und Austeritätspolitik werden die Lebensbedingungen deutlich unsicherer als zuvor: Armut, Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeits- und Einkommensverhältnisse oder Zwangsräumungen werden zu einer alltäglichen Erfahrung. Am Beispiel der spanischen Gewerkschaften CC.OO und UGT, der Bewegung des 15. Mai sowie der Plattform der Hypothekengeschädigten zeigt der Vortrag, wie die politischen und ökonomischen Veränderungen in der Eurokrise zur Entstehung neuer sozialer Bewegungen und zur vorsichtigen Neuorientierung der Gewerkschaften führen. Deutlich wird dabei, wie schwierig es für Bewegungen angesichts eines sich autoritär verhärtenden europäischen Staatsapparateensembles ist, erfolgreiche Strategien zwischen alltäglicher Prekarität, lokaler Gegenwehr und europäischen Krisenprotesten zu entwickeln.
Angela Wigger:
Ungleiche Entwicklung und politischer Widerstand
Staat, Herrschaft und Widerstand
Daniel Mullis:
Krisenproteste und das Politische: Soziale Kämpfe in Athen 2011, ein theoretischer Verortungsversuch
Vom 25. Mai bis zum 30. Juli 2011 besetzten mehr als 10.000 Menschen den Syntagma-Platz in Athen. Der Platz vor dem griechischen Parlamentsgebäude diente als Treffpunkt, als Ort der Etablierung basisdemokratischer Strukturen und als Raum des Widerspruchs gegen die vorherrschende Krisenbewältigungspolitik. Die Besetzenden produzierten Räumlichkeiten und organisatorische Strukturen, die niederschwellig erreichbar waren und an denen direkt partizipiert werden konnte. Die Besetzung nahm aber auch in der Praxis der Proteste eine wichtige Rolle ein, zumal die materielle Präsenz vor dem Parlament symbolischeund physische Grundlage für die deutliche Ausweitung der Proteste war. Es geht also darum diese Ereignisse, die im Anschluss an Rancière als«Moment des Politischen« verstanden werden können, hinsichtlich der Frage zu verorten welche Rolle Raumproduktionen im Widerstand gegen die herrschende Ordnung einnehmen und wie Räumlichkeit von sozialen Bewegungen als strategisches Mittel der politischen Auseinandersetzung eingesetzt wird.
Luise Meyer:
Spektakel. Gewalt. Widersprüche. Ungleiche Entwicklung und Kämpfe um Raum in Rio de Janeiro
Brasilien. »Boomland«, der neue »Global Player«. Auf der Liste der großen Wirtschaftsmächte steht das fünftgrößte Land der Welt heute an sechster Stelle. In einer einschlägigen Witschaftszeitung ist der Hinweis zu finden, heute gebe es »kein Unternehmen mehr, das Brasilien nicht auf seiner Investitionsliste hat.«1 Ist Brasilien »Krisengewinner«? 2014 WM, 2016 Olympia: Zwei sportliche Großereignisse, die sogenannten Megaevents in Rio stehen an. Die Stadt wird im Kontext des Spektakels der Megaevents als Aushängeschild der aufsteigenden Weltmacht in Szene gesetzt, während eine große Öffentlichkeit weltweit nach Brasilien schaut. Der Staat propagiert: »Brasilien: reiches Land, Land ohne Armut«. Strategisch ausgewählte favelas (informelle Viertel, die hauptsächlich durch Arbeiter mit geringem Einkommen bewohnt werden) werden befriedet, die an Drogenkartelle verlorene Kontrolle des Staates über die Territorien der favelas mit militärischer Gewalt zurückerobert. Entwicklungsprogramme werden durchgeführt, um die favela in das (staatlich beherrschte) Gefüge der Stadt zu integrieren. Das maßgebliche Projekt für Rio de Janeiro ist die Revitalisierung der lange vernachlässigten und degradierten Hafenzone, die größte PPP in der Geschichte. Begleitet wird sie durch das ordnungspolitische Repressionsprogramm Operation Ordnungsschock. Essenziell für Porto Maravilha (der Wunderbare Hafen) sind außerdem Revitalisierung und Befriedung des Morro da Providencia. Die älteste favela Rio‹s, mitten im Aufwertungsgebiet der Hafenzone, wird plötzlich zum Gegenstand der Aufmerksamkeit des Staatsaparates in Form der Stadtverwaltung und dem Projekt Morar Carioca. Eine glitzernde Fassade, die etwas anderes verschleiert? Berichtet wird von gewaltsamen Räumungen, vorenthaltenen Informationen und jeglicher Verweigerung einer Mitentscheidung durch die Bewohner selbst in Form einer rudimentären Partizipation, wie sie gesetzlich vorgesehen wäre. Die Praxis staatlicher Insitutionen bei der Durchführung sogenannter Entwicklungsprojekte lässt sich als auoritär beschreiben. Darüber hinaus erklärt selbst die bürgerliche Rechtsprechung die Vorgehensweise der Stadtverwaltung als gesetzeswidrig und veranlasst deren Unterbrechung. Lefebvre folgend, können die Entwicklungen im Morro da Providencia als logische Konsequenz der Trasnsformationen in der ganzen Stadt, besonders aber in der Hafenzone gesehen werden: »The dominant space, that of the centers of richness and power, is forced to fashion the dominated spaces, those of the periphery.«2 In diesem homogenisierten Raum wird seine Geschichte verschleiert, er wird fragmentiert, seine innere Entwicklund ist räumlich ungleich, sowie auch Ungleichheit besteht in Relation zu den Prozessen im Rest der Stadt. Welche widerständigen Praxen gibt es? Und von wem? Und wie widerständig sind diese? Welche Konflikte gibt es auch innerhalb der Nachbarschaften, und welche werden erst durch die informellen Praktiken und Politiken geschaffen? Wie arbeiten »alte« und »neue« Machtstrukturen zusammen, bzw. welche Strukturen bestehen unter der Oberfläche weiterhin? Die Umkämpftheit von Territorien als Wohnort, Kommerzort,Verkehrsachse, Absatzmarkt, ... hat eine lange Tradition in der Geschichte der Stadt und efährt nun durch dir staatliche Produktion der favela eine neue Dimension.
Alke Jenss:
›Uneven Development. Geographien der Krise(n) – Räume des Widerstands‹: ›unsichere Räume‹, staatliche Strategien
Als zentrale Achse der Entwicklungsstrategie hat der großflächige Kohleabbau in Kolumbien klar von gewaltsamer Vertreibung von Gemeinden profitiert; häufig liegen die angeeigneten Flächen nahe wichtiger Wasserquellen oder strategischen Verkehrsknotenpunkten. Die Regionen, in denen in den letzten Jahrzehnten paramilitärische Gruppen aktiv waren und aus denen besonders viele Menschen vertrieben wurden, sind heute Zentren von Agrarindustrie oder Bergbau (Ibanez/Munoz 2010, Redaktion El Tiempo 2011). In Mexiko existiert noch das Ejido-Modell (kollektive Verwaltung von Land), dennoch veränderte der Kongress zwischen 2006 und 2012 nach und nach wesentliche Artikel des Agrargesetzes (Cámara de Diputados 2012); Konsequenz ist vor allem die beschleunigte Umwandlung von Ejido-Parzellen in Privatbesitz, der an expandierende Bergbau- und agrarindustrielle Unternehmen verpachtet werden kann. Dabei fallen mehr und mehr die Migration aus strukturellen Gründen und gewaltvolle Vertreibung zusammen, und zuweilen überlappen sich Räume extremer Gewalt und Regionen im Wirtschaftsboom. Besonders im Norden des Landes sind urbane Räume der Angst zu beobachten (öffentlich zur Schau gestellte, extreme Gewalt). Das IDMC spricht inzwischen von ca. 180 000, das TPP von 1,5 - 2 Mio. internen Flüchtlingen (TPP 2012). In jedem Fall verändert das »Bergbaufieber« auch mexikanische ländliche Räume massiv, vor allem seit 2009/2010. Roux (2011:76) konstatiert expandierende »Grauzonen«, in denen rechtsstaatliche Regelungen vollständig von gewaltvoller Regulation ersetzt wurde (wobei die Grenze zwischen Staat / nicht-staatlichen Akteuren erwartungsgemäß undeutlich bleibt). Subalternen bäuerlichen und indigenen Strategien ist dagegen die Verteidigung von tierra als Produktionsmittel und territorio gemein. Letzteres geht konzeptionell über die Produktionslogik hinaus (vgl. Castillo 2010; Foro Mesoamericano 2011) und verbindet kollektive Identität eng mit dem »Raum«, den das territorio umfasst; Vertreibung bedeutet Identitätsverlust und desterritorialización. Die Räume, mit denen die Gemeinden zuvor ihr Selbstverständnis bestimmten, wurden teils von Gewaltakteuren besetzt und von diesen neuen Konzeptionen unterworfen. Die beiden Kontexte sind sehr unterschiedlich, aber – ohne in Simplifizierungen wie eine »Kolumbianisierung Mexikos« zu verfallen – teilweise ähneln sich die Konstellationen. Um diese Verhältnisse adäquat – und nicht im Rückgriff auf eine Vorstellung »gescheiterter« Staaten – zu analysieren, ist ein Ansatz sinnvoll, der einen Begriff von Staat mit einem raum-sensiblen Herangehen verknüpft, z.B. der Brenners (2004), der stärker als Andere den Prozess räumlicher Strukturierung mit der Frage nach den treibenden Kräften auf institutionellen Ebenen für dieses remaking staatlichen Raums verknüpft. Dabei bleibt er trotzdem bei einem staatstheoretischen Blick, der für die Unterschiedlichkeit der Prozesse in subnationalen spaces und institutionellen scales sensibilisiert. Das macht den Ansatz für diese beiden komplexen Fälle interessant, in denen regional verankerte wirtschaftlich-politische Kräfte eine große Rolle spielen (z.B. Caciques). Denn dabei verknüpfen sich meiner Meinung nach staatliche Strategien zur Neupositionierung von Räumen in weltwirtschaftliche Akkumulationskreisläufe mit Veränderungen in gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen. Ich würde außerdem auf Poulantzas (2002) Arbeiten zum Staat zurückgreifen, weil er die Heterogenität unterschiedlicher Apparate und unterschiedliche, miteinander ringende Kräfte innerhalb des Staates bereits mitgedacht hat: das lässt sich auch auf unterschiedliche scales übertragen. Der Beitrag versucht also eine (staatstheoretisch unterfütterte) Perspektive auf die sich ganz unterschiedlich vollziehende Produktion von »insecure spaces« und möglichen Entgegnungsstrategien. Ein vergleichender Blick kann aufzeigen, wie das dominante Staatsprojekt sich immer mehr auf das Nicht-Bestehen eines Gewaltmonopols stützt und selbst Unsicherheit produziert: Staatliche Kräfte bekämpfen die »Quellen gesellschaftlicher Unordnung« (Pearce 2010) mit neuen Formen der ›Ordnung‹ gewaltvoll, innerhalb wie außerhalb der Legalität. Können sich damit in Kolumbien konservative, regionale Kräfte mit (belegbaren) Verbindungen in die illegale Ökonomie temporär durchsetzen, bleibt in Mexiko die autoritäre Bearbeitung auch innerhalb des staatlichen Ensembles ohne konsensuale Basis. Interessant ist dabei, dass sich dies räumlich ganz unterschiedlich vollzieht. Der Staat hat also eine explizite Rolle bei der Reproduktion gewaltvoller Verhältnisse auch da, wo staatliche Stellen nicht selbst aktiv Gewalt ausgelagert haben. Oppositionelle Strategien fordern immer wieder den Schutz kollektiv bewirtschafteter Territorien: Organisierte Gemeinden formulieren in Kolumbien kommunale Planes de Vida, in denen sie die Entwicklungsvorstellung der Regierung ablehnen, und verteidigen vom Entwicklungsmodell ausgenommene selbstverwaltete Gebiete. In Mexiko sind ähnliche Entgegnungsstrategien u.a. aus dem Zapatismo in Chiapas bekannt (Congreso de los Pueblos 2011). Diese Spannungen sind der Kontext, in dem lokale Kämpfe um Demokratie und um akzeptable gesellschaftliche Aushandlungsprozesse stattfinden.
Arbeitskreis kritische Regionalwissenschaft (AkR) – Grenzen und Möglichkeiten emanzipatorischer Politik auf regionaler Ebene
Abstract der Session: Das ›Lokale‹ oder ›Regionale‹ ist ein äußerst widersprüchliches Etwas. Auf der einen Seite werden die Ebenen unterhalb des Nationalstaates aufgewertet im Sinne einer Inwertsetzung für Kapitalinteressen. Den daraus möglicherweise resultierenden erweiterten Handlungsmöglichkeiten regionaler Akteure steht entgegen, dass die Regionen immer mehr durchdrungen sind von weltweiten marktfixierten Kapitallogiken, was eine Tendenz zu verstärkten Abhängigkeiten von EU-, Bundes- und Landespolitiken mit sich bringt. Gibt es also Handlungsmöglichkeiten sozialer und politischer und gewerkschaftlicher Akteure auf regionaler Ebene? Können Sie möglicherweise eher im Dienstleistungs- als im Industriebereich verortet werden? Diesen Fragen widmet sich das Panel und bezieht sich dabei auf unterschiedliche Theorieansätze wie dem ‚Scale-Konzept’ oder den Analysen der radical geography.
Referierende:
Jochen Bürkner:
Neoliberalisierung im Doppelpack – Periphere Regionen zwischen Europäisierungspolitik und landespolitischen Förderimperativen
Die Verschärfung regionaler Disparitäten wird derzeit in öffentlichen Diskursen häufig im Zusammenhang mit der globale Finanzkrise und der Euro-Krise thematisiert. Dabei wird leicht übersehen, dass zwei Jahrzehnte intensiv betriebener Neoliberalisierungspolitiken bereits seit geraumer Zeit neue Peripherisierungsprozesse vorangetrieben haben. Diese Politiken kommen häufig erst in ihrer Überlagerung und kumulativen Verstärkung für die betroffenen Regionen als Wegbereiter von Entwicklungskrisen zum Tragen. Es handelt sich um ein »Scale«-Problem, das in der Regionalentwicklungsdiskussion der vergangenen Jahre nur am Rande thematisiert worden ist. Am Fall regionaler Peripherien im Land Brandenburg wird gezeigt, dass mehrfache politische Abhängigkeiten sowie gleichgerichtete Politiken der Deregulierung, Flexibilisierung und Förderung von Faktormobilität, die sowohl auf der Ebene der Landespolitik als auch auf EU-Ebene formuliert wurden, die Regionen zunehmend unter einseitigen Anpassungsdruck gesetzt haben. Europäisierungspolitiken, die auf die Durchsetzung und Absicherung eines einheitlichen Binnenmarkts abzielen, und Förderpolitiken des Landes zur Stärkung von sog. Wachstumskernen und regionalen Clustern (Motto: »Die Stärken stärken«) greifen nahtlos ineinander. Sie dienen einander wechselseitig als Legitimierungsinstanzen bei der Etablierung selektiver, an globaler Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteter Entwicklungsmodelle. Die Handlungsmöglichkeiten regionaler Akteure werden dadurch – im Verein mit den ohnehin gegebenen rechtlichen und strukturellen Abhängigkeiten der lokalen Ebene – stark eingeschränkt. Hinzu kommt, dass insbesondere die landespolitische Abkopplung der Peripherien durch top-down organisierte Kommunikationsverweigerungen begleitet wird, was direkte Einflussnahmen regionaler Akteure auf Entscheidungen erschwert. Alternative Entwicklungsvorstellungen, etwa im Zusammenhang mit der Revitalisierung von Genossenschaftsmodellen oder der Erprobung neuer Arbeits- und Beschäftigungsformen im Bereich sozialer Ökonomien, sind damit erheblich in die Defensive gedrängt worden. Neue Handlungsfähigkeit kann in ostdeutschen Regionen erst dann erwartet werden, wenn die doppelte Schockstarre, die sich aus erlebter Transformationskrise und einer auf mehreren Ebenen erzeugten regionalpolitischen Bedeutungslosigkeit speist, öffentlich thematisiert und durch regionale Aktionsbündnisse bearbeitet wird.
Stefanie Hürtgen:
Lohnabhängige als transnationale Akteure und die Zuspitzung ökonomischer Konkurrenzlogiken auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene
Noch immer wird die Transnationalisierung des Sozialen, insbesondere auch der Arbeitsbeziehungen, als Überwindung nationaler Einbindungen, Kulturen, »Mentalitäten« und Traditionen verstanden. Transnationalisierung ist in dieser Perspektive die Entwicklung eines von den Kapital-Arbeits-Beziehungen weitgehend losgelösten »Kosmopolitismus« auf dem (mühsamen) Weg in eine fortentwickelte Moderne (Beck). Diese, lange Zeit auch in der gewerkschaftlichen Forschung dominierende Sichtweise verkennt allerdings, dass wir es längstens mit sozialen Transnationalisierungsprozessen zu tun haben, nur führen diese nicht, wie weithin angenommen, zu einer norm- und werthomologen Überwindung des Lokalen. Regionalen und Nationalen. Vielmehr werden diese Ebenen selbst aufgewertet, als Bestandteil einer forcierten wettberbs(staats)politischen Europäisierung und Globalisierung. Dabei ist der Nationalstaat einerseits als ökonomischer und Governance-Akteur nach wie vor zentral, wird aber andererseits in wachsendem Maße selbst gespalten, zerklüftet, durchdrungen von einer Konkurrenzlogik, die gewissermaßen »durch ihn hindurchgeht« und zu neuen sozialen und ökonomischen (Standort-)Dynamiken in seinem Inneren führt (Brenner, 2004; Wissen et al., 2008). Ein Verständnis von Globalisierung und Europäisierung als »multi-scalare« ökonomische, politische, aber eben auch soziale Prozesse, und ein Konzept von Scale als Praxis der sozialen Konstruktion erlauben es, Transnationalisierung nicht einfach als objektiv-ökonomische oder allein von der Kapitalseite betriebene zu betrachten. Vielmehr müssen, so wird im Beitrag argumentiert, auch Lohnabhängige (im weiten Sinne: illegal, fest usw. Beschäftigte. Einkommenslose u.a.) als soziale Akteure aufgefasst werden, die sich in ihrem Denken und Handeln in verschiedenen »scales« positionieren, und zwar auch dann, wenn es vordergründig »nur um das Lokale« geht (beispielsweise die Stärkung eines lokalen oder nationalen ökonomischen Standortes zur »Sicherung von Arbeitsplätzen«). Auch für Lohnabhängigen gilt: lokales Denken und Handeln ist (zumindest oft) auch transnationales Denken und Handeln, und umgekehrt. Mit dem Scale-Konzept kann danach gefragt werden, auf welche Weise, in welchen Formen und »frames« die verschiedenen Ebenen sozial konstruiert werden. Eigene empirische Forschungsergebnisse, die durch die aktuelle Debatte entlang der Wirtschaftskrise bestätigt werden, legen dabei die Vermutung nahe, dass das »framing« des Transnationalen von Seiten der Lohnabhängigen in Form einer stark ideologisierten Konstruktion nationaler und lokaler kultureller Unterschiede stattfindet. Vermeintliche nationale und kulturelle Mentalitäten und ihre Bedeutung für ökonomische »Performance« spielen in diesen sozialen Deutungsmustern und Konstruktionsprozessen eine wesentliche Rolle. Um diese sozialen Herangehensweisen und Praktiken zu kritisieren, genügt es nicht, auf ihre Überwindung zugunsten einer kosmopolitischen Weltsicht zu drängen (so wichtig diese angesichts von weit verbreitetem Rassismus und Xenophobie sein mag). Sie können allenfalls ein Ausgangspunkt sein für die dringend nötige gedankliche und praktische Umgestaltung der derzeit ablaufenden konkurrenziellen Transnationalisierung.
Wolfgang Krumbein:
Dienstleistungssysteme: Besonders geeignet als Gegenstand emanzipatorischer Politik in den Regionen?
Eine gewerkschaftlich ausgerichtete Dienstleistungspolitik auf regionaler Ebene kann nur begrenzt auf gegebene theoretische Konzepte zurückgreifen. Analysen der ›radical geography‹ konzentrieren sich auf maßgeblich von der internationalen Kapitalakkumulation ausgehende Ungleichheiten, auf die ›Produktionen von Räumen‹. aufbauen. Auch das Konzept des ‚lokalen Staates’ zieht Verbindungslinien von generellen (hier: staatstheoretisch motivierte) Analysen kapitalistischer Krisenbewältigung zu deren konkretem Pendant auf regionaler Ebene. Beide vermeiden eine illusionäre Hypostasierung der Region, wie sie lange Zeit das auch bei Linken weit verbreitete Konzept des ›new regionalism‹ beinhaltete. Aber: Schlussfolgerungen für den konkreten Umgang mit den vielfältigen sozialen und politischen Auseinandersetzungen in den Regionen und Kommunen können aus den Analysen der ›Radical geography‹ und des ›lokalen Staates‹ nur sehr begrenzt abgeleitet werden – dazu sind sie zu allgemein orientiert, z.B. weit entfernt von den konkreten Auseinandersetzungen um die Governance-Strukturen im Dienstleistungsbereich. Man wird also auf zusätzliche eigenständige Analysen setzen müssen.
Martin Beckmann:
Wirtschaftsdemokratie als Element einer sozial-ökologischen Transformation
Die globale Finanzkrise ist nicht nur eine ökonomische Krise, in ihr offenbart sich auch eine Krise der Demokratie. Gleichzeitig wurde der Glaube an die Versprechungen des neoliberalen Projekts erschüttert. Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus gesellschaftlich zu verankern fällt aber auch deshalb schwer, weil es jenseits konkreter Einzelforderungen in bestimmten Politikfeldern (etwa nach einer Vermögenssteuer oder besserer Finanzmarktregulierung) an einem übergreifenden gesellschaftlichen Projekt fehlt, das den Finanzmarktkapitalismus als Ganzes in Frage stellt. Ein mögliches Projekt wäre die grundlegende Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche einschließlich der Wirtschaft. Dies ist eine Reaktion darauf, dass der Finanzmarktkapitalismus ein System hervorgebracht hat, in dem mächtige Finanzmarktakteure sich den traditionellen gewerkschaftlichen Mitbestimmungsstrukturen weitgehend entzogen haben. Zudem bringt die Forderung nach Demokratisierung zum Ausdruck, dass wir es gegenwärtig nicht nur mit einer ökonomischen, sondern auch mit einer politischen Krise zu tun haben. In Teilen der Gewerkschaften und der kritischen Wissenschaft hat eine Debatte über eine Revitalisierung und Aktualisierung des Konzepts der Wirtschaftsdemokratie begonnen. In ver.di wurde, nach Diskussion des Themas auf dem ver.di-Bundeskongress 2011, eine AG Wirtschaftsdemokratie eingerichtet. Diese entwickelt Vorschläge für ein wirtschaftsdemokratisches Konzept. Es sollen Grundprinzipien und Kernprojekte eines wirtschaftsdemokratischen Konzepts vorgestellt werden.
16.30 - 17.30 Uhr
Abschlussplenum
Was? Wann? Wo?
Tagung der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AkG),
27. - 29. Juni 2013, Frankfurt am Main
Dateien
- Tagungsplakat »Uneven Development. Geographien der Krise(n) – Räume des Widerstands« pdf, 2.92 MB
- Tagungsprogramm »Uneven Development. Geographien der Krise(n) – Räume des Widerstands« pdf, 1.63 MB