Am 26. Januar 2017 veröffentlichte der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) eine Erklärung zur Solidarität mit Andrej Holm. Die AkG schließt sich dieser Erklärung an und dokumentiert sie hier im Wortlaut.
26.01.2017: Solidarität mit Andrej Holm! ISW-Besetzung unterstützen! Für eine soziale Wende in der Wohnungsbau- und Mietpolitik- nicht nur in Berlin!
Der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) betrachtet den "doppelten Rausschmiss" von Andrej Holm als ausschließlich gegenwartspolitisch motiviert. Die Maßnahme kennzeichnet vor allem das Zögern der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung, vorrangig der SPD, eine wirksame soziale Wende in der Wohnungsbau- und Mietpolitik durchzusetzen und sich mit den mächtigen Interessengruppen anzulegen, die dies um jeden Preis verhindern wollen. Die Debatte um die Bewertung von Holms Vergangenheit angesichts einer fünfmonatigen Ausbildungszeit bei der DDR-Staatssicherheit des damals 18jährigen ist lediglich vorgeschoben. Diese Verpackung dient vor allem dazu, die einschlägigen konservativen und anti-kommunistischen Reflexe zur Unterstützung seiner Entfernung aus der Regierung und aus der Humboldt-Universität (HU) zu mobilisieren - und das eigentliche Thema einer Stadt, in der die durchschnittlichen Mieten seit 2010 um 26 Prozent gestiegen sind und 100 Tausend Sozialwohnungen fehlen, aus dem Scheinwerfer der Öffentlichkeit zu verdrängen.
Es war nicht ganz risikolos für einen linken politischen Aktivisten und international renommierten Stadt- und Regionalsoziologen wie Andrej Holm - also jemand, der den herrschenden Politikbetrieb illusionslos kennt - als Staatssekretär in eine Landesregierung einzutreten. Seine fachliche Expertise, die Versprechungen des Koalitionsvertrages für einen Politikwechsel in der Wohnungs- und Mietpolitik und - vor allem - die Unterstützung dieser Politik durch außerparlamentarische Gruppen und Mieterinitiativen schienen die Versuchsanordnung zu rechtfertigen, die Grenzen, aber auch die Möglichkeiten einer rot-rot-grünen Regierung auszutesten. Das vorläufige Ergebnis ist mehr als nur ernüchternd. Holm ist im neoliberalisierten Hochschulsystem der immer seltener werdende Typus eines Wissenschaftlers, der die gesellschaftliche Verantwortung seines Faches mit einer emanzipativen politischen Praxis gestützt auf soziale Initiativen ständig zu verbinden sucht.
Dagegen mobilisierten die Gegner eines Politikwechsels wochenlang das Stasi-Thema. Der Regierende Bürgermeister hat sich dieser bundesweiten Kampagne schließlich gebeugt, obwohl er Holms Vergangenheit bereits vor seiner Berufung kannte. Der angekündigten Entlassung als Staatssekretär kam Holm schließlich durch seinen Rücktritt zuvor. Dass wenige Tage später auch sein Arbeitsvertrag mit der HU gekündigt wurde, kann nur als perfider Versuch gewertet werden, die Konjunktur des Stasi-Themas zu nutzen, um einen kritischen Wissenschaftler gleich auch beruflich loszuwerden. In der Rücktrittserklärung von Andrej Holm heißt es dazu: "Entgegen der Darstellung vieler Medien habe ich mich nicht nur in den letzten Wochen bemüht, offen und selbstkritisch mit meiner Biographie umzugehen. Das war schmerzhaft für viele Opfer der DDR-Diktatur und das war auch schmerzhaft für mich. Die letzten Wochen hinterlassen bei mir den Eindruck, dass es auch im medialen Raum nur eine begrenzte Bereitschaft für die Wahrnehmung von Zwischentönen in DDR-Biographien gibt. Bevor die Entscheidung fiel, mich zu ernennen, war übrigens allen drei Koalitionspartnern bekannt, dass ich eine Stasi-Vergangenheit habe."
Andrej Holm hat erklärt, sich ab dem Tage seines Rücktritts wieder außerhalb eines Regierungsamtes für eine soziale Wohnungspolitik einzusetzen. Zielsetzung dabei kann nur sein, die wohnungs- und mietpolitischen Versprechen des Koalitionsvertrages auch ohne ihn als Staatssekretär umzusetzen. Diese Zielsetzung wird dadurch gestärkt, dass in Berlin seine Entlassung ständig wachsende außerparlamentarische Unterstützung mobilisiert hat. Darin verbünden sich Schüler*innen- und Studierendengruppen mit Stadtteil- und Mieterinitiativen. Ein Kristallisationspunkt dafür ist die anhaltende Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften der HU (ISW). Dabei geht es längst nicht mehr nur um die Wiederanstellung von Andrej Holm, sondern auch um eine alternative Hochschul- und Wohnungspolitik, wie die Besetzer*innen (#iswbesetzt) in ihrem Manifest eindeutig klarstellen.
Der BdWi unterstützt die Besetzer*innen des ISW und fordert die sofortige unbefristete Wiederanstellung Andrej Holms an der Humboldt-Universität Berlin!
Auch aus anderen Teilen des Landes sind politische Reaktionen möglich - und sollten noch verstärkt werden. An der Uni Göttingen wurde etwa aus Solidarität die Mensa besetzt. Eine weitere Möglichkeit der Solidarisierung besteht darin, Andrej Holm aktiv als Gastreferenten an Universitäten und Hochschulen einzuladen. Die Initiatoren des "doppelten Rausschmisses" sollten politisch merken, dass weder die Personalie noch die Forderung nach einer alternativen Hochschul- und Wohnungspolitik lokal bleibt.
Marburg, den 26. Januar 2017
Torsten Bultmann, Steffen Käthner (Geschäftsführer des BdWi)
Siehe Webseite des BdWi: http://www.bdwi.de/show/9761251.html