Rezension
Co-Management auf europäischer Ebene
Ein Interviewband mit europäischen Betriebsräten liefert ein ernüchterndes Bild über gewerkschaftliche Politik
von Peter Nowak auf trend.onlinezeitung
Während das Kapital zunehmend international agiert, orientieren sich die Gewerkschaften noch immer nationalstaatlich, lautet eine nicht nur in Zeiten der neuen Wirtschaftskrise häufig zu hörende Klage. Wer die im Dampfboot-Verlag erschienene Studie der Sozialwissenschaftlerin Stefanie Hürtgen liest, wird feststellen, dass die Gewerkschaften schon längst im europäischen Rahmen agieren. Das hat allerdings nicht zu einer Internationalisierung von Streiks und Klassenkämpfen sondern zu einer Ausweitung der Politik des Co-Managements beigetragen.
Hürtgen führte im Zeitraum von 2000 – 20003 ausführliche Gespräche mit GewerkschafterInnen aus Deutschland, Polen und Frankreich, die zugleich Mitglieder des Europäischen Betriebsrats waren. Diese institutionelle Form der ArbeitnehmerInnenvertretung geht auf eine europäische Betriebsratrichtlinie von 1994 zurück.
Die politischen Einstellungen von Hürtgens InterviewpartnerInnen differenzieren stark. Am linken Rand stehen die ehemalige kommunistische Funktionärin Madeleine F. und der ebenfalls den Kommunisten nahe stehende Louis F. aus Frankreich. Am anderen Ende ist der Ostdeutsche Heiner D. positioniert, der seine Betriebsratarbeit als Chance für seine persönliche Karriere ganz ohne klassenkämpferische Intentionen begreift. Auch mehrere der interviewten polnischen Gewerkschaftler können in diese Kategorie eingeordnet werden. Den Typus des enttäuschten Sozialdemokraten vertritt in dem Buch der langjährige IG-Metall-Funktionär Demiray D. Doch schnell wird deutlich, dass auch GewerkschaftlerInnen, die sich im Gespräch mit Hürtgen als klassenkämpferisch einordnen, im Detail eine Politik der Standortsicherung und des Co-Managements vertreten.
„Ich vertrete meine Leute“.
Der Euro-Betriebsrat wird von den meisten GewerkschaftlerInnen als eine Instanz zur Lobbyarbeit für den „eigenen“ Standort gesehen, auch wenn es gegen die KollegInnen aus anderen Ländern geht. „Man knüpfte Kontakte zu anderen Unternehmen, aber auch zu politischen Parteien, um dort Druck zu machen oder politischen Lobbyismus zu betreiben“, bringt der pragmatische Ostdeutsche Heiner D. dieses Rollenverständnis auf dem Punkt. Im Gespräch mit Hürtgen gefallen sich auch andere GewerkschafterInnen in der Rolle des Betriebsretters mit guten Kontakten in höchste Politik- und Wirtschaftskreise. Auch der sich selbst als „Sympathisant für alles Soziale“ charakterisierende Demiray D. fertigte in seinem Betrieb beschäftigte LeiharbeiterInnen, die mit einem Problem an ihn wandten, mit den Worten ab: „Ich vertrete nicht Euch. Ich vertrete meine Leute“.
Dass britische Kollegen im Euro-Betriebrat eher als Klassenkämpfer denn als Lobbyisten auftreten, wurden von mehreren ostdeutschen und polnischen InterviewpartnerInnen als mangelnde Europareife und Zeichen für Rückständigkeit interpretiert. In anderen Zusammenhang wurde kämpferisches Verhalten von Belegschaften mit der Charakterisierung „typisch französisch“ ethnisiert und eben nicht als eine Erfahrung in der Arbeiterbewegung wahrgenommen. Selbst, wenn linke GewerkschaftlerInnen französische herbeiwünschen und damit einen Streik meinen, der sich mit Trillerpfeilen und Plastikumhängen begnügt, bedienen die falsche Vorstellung, dass wirkungsvolle Streikbewegungen typisch französisch und nicht eine Folge von Kampferfahrungen und politischer Organisierung sind. .
Hürtgen liefert mit dem Buch ein realistisches aber auch ernüchterndes Bild über den Bewusstseinsstand europäischer Gewerkschaftspolitik auf Betreibratsebene, die mehr als Momentaufnahmen ist. Sie bietet damit genügend Stoff für eine Diskussionen über die Ursachen für die Politik des Co-Management. Dabei handelt es sich nicht in erster Linie um einen Verrat der Gewerkschaftsführung, wie es in linken Kreisen häufig behauptet wird. Die Politik des Co-Management hat vielmehr ökonomische und politische Ursachen. Hürtgens Buch liefert auch eine gute Basis für die Frage, welchen Stellenwert linke Interventionen in gewerkschaftliche Kämpfe haben. Dazu ist eine gehörige Portion von Ernüchterung und Illusionslosigkeit nötig. Wer das Buch von Hürtgen gelesen hat, bietet also gute Voraussetzungen dafür.